Sankt Martin aus der Hölle

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Schon in den Jahren 2012 und 2013 hätte ich das Kind gerne auf einen Umzug anlässlich Sankt Martin geschleppt, doch in beiden Jahren war es so erkältet, dass ich mich schlussendlich doch dagegen entschied.

Doch nun ist sie ein Kindergartenkind, weitestgehend gesund, so dass dem fröhlichen Laternelaufen nichts im Wege stehen sollte. Doch – wie so oft – lief so rein gar nichts wie gedacht…

16h15

Der Opa ist 1. Obergeschoss und verputzt eine Wand. Kind und ich gesellen uns dazu, um „hallo“ zu sagen, doch nach etwa 70 Sekunden muss das Kind aufs Klo – also zurück in den Keller. Das Kind hat einen Tobsuchtsanfall vom Feinsten, weil es nicht runter möchte, oben aber kein Klo ist. Ratlosigkeit.

16h25

Ich bringe das Kind wieder hoch zum Opa, damit ich rasch das Auto ausladen, die Tasche packen und mich selbst fertig machen kann. Das Kind hat einen Tobsuchtsanfall vom Feinsten, weil es wieder hoch soll. Ratlosigkeit.

16h40

Alles ist soweit gepackt und wir sitzen im Auto – bloß zu spät, wir müssten schon längst unterwegs sein. Im Ort staut es, da der übliche Feierabendverkehr so langsam einsetzt, und das Kind kommentiert von der Rückbank, dass ohnehin alles sinnlos sei, der Laternenumzug sicher schon vorbei und alle Kinder weg. Ich wünsche mir einen Kurzen und eine Kippe, denn so langsam habe ich keine Nerven mehr.

16h50

Auf der gewählten Strecke geht es überhaupt nicht weiter; ich wende das Auto und versuche, mich über einen Schleichweg durchzuschlagen. Auf der Rückbank motzt das Kind, weil wir nun in die falsche Richtung fahren.

17h05

Wir sind an der einzigen Kirche, die ich auf Google Maps hatte finden können, aber offensichtlich ist das die falsche. Glücklicherweise sind wir nicht die einzigen, die zu spät an sind, und gemeinsam rennen wir zur evangelischen Kirche, wo die „Einstimmung“ stattfindet – die sich zu meinem Entsetzen als Gottesdienst mit drei erkälteten Blechbläsern entpuppt. Das Kind starrt mit runden Augen und stellt im lauten Flüsterton Fragen – ich versuche, ihr die Befindlichkeiten im Gotteshaus näher zu bringen, doch sie will mit ihrer Laterne einfach nur raus, denn schließlich ist es jetzt ja dunkel. Ich halte sie davon ab, während ein Kleinkind den Altar mit seinem angebissenen Apfel bewirft.

17h45

Die Meute sammelt sich vor der Kirche, die Laternen werden eingeschaltet. Der St. Martin hoch zu Ross entpuppt sich als etwa 8jähriges hageres Bürschchen auf einem Pony; letzteres wiehert unwillig in der Dunkelheit und verschreckt die Kinder („MAMA! Das Ferd macht so Geräusche!“) Wir tappen mit den Laternen durch ein Stück unbeleuchteten Abhang im Wald, und schon nach 20 Schritten ist dem Kind die Laterne zu schwer und ich muss sie tragen. Das Highlight für das Kind ist definitiv, auf der Straße rumlaufen zu dürfen – bis uns ein Auto entgegenkommt, das der Polizeisperre wohl durch die Lappen gegangen war. Wir zuckeln zur katholischen Kirche zurück: die ersten Laternenstäbe gehen aus, Laternen knallen auf den Boden, Kinder greinen; niemand singt.

18h00

Das Martinsfeuer versetzt das Kind in helle Aufregung, es macht Spaß, sie zu beobachten. Die („MAMA? Was sind das für Zipfel?“) Funken stieben in den Himmel, ein Martinsfeuer am Waldrand finde ich mutig, und die beiden Bewacher haben zwar keinen Feuerlöscher, aber sie tragen immerhin Warnwesten. Die Schlange bei den Martinsbrezeln ist lang, eine Brezel kostet 1,30€ – glücklicherweise mag das Kind „Brezel mit Salz“ ohnehin nicht. Die Erwachsenen bedröhnen sich mit Glühwein, und die Kinder spielen diverse Spiele, deren Regeln ausschließlich aus „in der Dunkelheit rumrennen“ und „schreien“ zu bestehen scheinen. Ein echter Stunt, wie ich finde, denn das Gelände wird offenbar regelmäßig von Wildschweinen durchwühlt und gleicht mehr einem Acker denn einer Pfarrwiese.

18h30

Wir sind auf dem Rückweg, und das Kind heult im Auto. Dafür gibt es mehrere Gründe: sie will gerne noch Martinsfeuer schauen, aber das war heruntergebrannt. Sie will in den Kindergarten, aber es ist Abend und nicht Morgen. Unter „der Laternenumzug geht von der evangelischen zur katholischen Kirche“ hatte sie sich einen weiteren Gottesdienst in der katholischen Kirche vorgestellt, und der fand nicht statt. Sie ist unzufrieden, ich gebe ihr eine Banane. Und flehe innerlich um Ruhe und Gelassenheit.

19h00

Das Kind hat Umziehen, Zähneputzen und zu Bett bringen überwiegend mit heulen, sich wehren und toben zugebracht. Im Bett liegend zählt sie auf, was alles doof und scheiße war, dass sie schlechte Laune habe und diese auch am nächsten Tag weiter zu haben gedenke. Großartige Aussichten.

1h00

Das Kind erwacht mit verstopfter Nase. Wir putzen Nase, verteilen Tropfen und Babix, und dann legen wir uns wieder hin.

1h15

Das Kind hat Durst, zum Glück habe ich was am Bett stehen. Sie trinkt ausgiebig, und dann legen wir uns wieder hin.

1h30

Das Kind bemängelt, dass Körperteile von ihm nicht mit Bettdecke bedeckt sind; ein Missstand, den zu beheben sie als meine Pflicht sieht.

1h45

Das Kind singt „Laterne“.

2h00

Das Kind heult, weil ich es müde angeraunzt habe, dass es jetzt mal schlafen soll.

2h15

Das Kind kratzt sich aufreizend am Bein und murmelt vor sich hin.

2h30

Entnervt gehe ich aufs Klo.

2h40

Als ich wieder hochkomme schnauzt das Kind mich an, es wolle schlafen und ich solle nicht so einen Krach machen.

3h10

Das Kind schläft ein. Ich liege wach.

6h45

Der Wecker klingelt. Ich könnte ungeschminkt bei „The Walking Dead“ mitwirken, und das Kind ist unausgeschlafen und gestresst. War doch ein voller Erfolg, das Ganze – oder?

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