[Rezension] Daniel Glattauer - Gut gegen Nordwind
„Schreiben Sie mir, Emmi. Schreiben ist wie küssen, nur ohne Lippen. Schreiben ist wie küssen mit dem Kopf.“
Der Klappentext von Daniel Glattauers Roman liest sich verheißungsvoll: durch einen Tippfehler landen Emmi Rotheners Nachrichten nicht beim eigentlichen Empfänger, sondern bei Leo Leike – und aus dem ursprünglichen Irrtum entwickelt sich ein „außergewöhnlicher Briefwechsel, wie man ihn nur mit einem Unbekannten führen kann“. Eingekuschelt in einen Starbucks-Sessel las ich die ersten Seiten, einen Caramel Macchiato in der Hand, und der mir gegenübersitzende Fremde vertraute mir mit einem Lächeln an: er habe erst kürzlich das Hörbuch quasi eingesaugt und konnte nicht genug davon bekommen – ja, ich würde wissen wollen, wie die Geschichte weitergeht, ich würde den zweiten Band auf jeden Fall lesen wollen.
Ich las das Buch im Urlaub, und auch 25°C und Sandstrand ließen mich darin mitnichten „einen der zauberhaftesten und klügsten Liebesdialoge der Gegenwartsliteratur“ erkennen; die Grundidee ist schön, wenn auch nicht neu – ich erinnere an dieser Stelle an die Roman-Reihe Chat, Connect, Crash von Nan McCarthy – doch muss sich der Leser mit irgendeinem Pfeiler eines Buches identifizieren können. Was mir nicht gelungen ist: die hysterische, zickige, um nicht zu sagen: nervige Emmi ließ mich keinerlei Parallelen zu meiner Person, Gefühlswelt oder Denkweise erkennen, und auch für den ach-so-schlauen, in sich gekehrten, romantischen und gewollt zynischen Leo konnte ich keinerlei Sympathien entwickeln. Und so schleppte ich mich mehr durch die 223 Seiten, als dass ich sie mit Genuss gelesen hätte; zwei Protagonisten, die, eine wie der andere, wie zwanghaft das letzte Wort haben wollen, ohne dass sie wirklich etwas zu sagen hätten. Im Grunde genommen geht es nur um die eine Frage: soll man aus der reinen Anonymität der „Online-Brieffreundschaft“ ausbrechen, sich persönlich kennenlernen – oder es lieber lassen? Dieser Frage nähern sich die Hauptdarsteller aus allen Himmelsrichtungen, ohne wirklich zum Schluss zu kommen, abgerundet durch halbintellektuelle Spitzfindigkeiten. Was ich damit meine? Beispielsweise „Nach fünf Jahren Gegenwart ohne Zukunft habe ich endlich in die Mitvergangenheit gefunden.“ Oder auch „Mich verblüfft am meisten, wie Sie ‘Zehennägel’ aussprechen, Emmi. So ein anmutiges, sanftes, dunkles, klares ‘Zehennägel’ habe ich noch nie gehört und hätte ich Ihnen auch niemals zugetraut. Kein Kreischen, kein Gurgeln, kein Krähen. Ein richtig schönes, weiches, elegantes, geschmeidiges, samtfüßiges ‘Zehennägel’.“
Das widert mich regelrecht an. Langatmig, langweilig, unromantisch. Unerotisch. Unsympathisch. Enttäuschend. Ich wünschte, ich könnte den Wirbel verstehen, den das Buch ausgelöst hat – die begeisterten Kritiker, die vielen positiven Rezensionen. Empfehlen? Nein, empfehlen kann ich es nicht, es sei denn, du liegst gerade krank im Bett und hast deine Fernbedienung verloren. Ich würde den zweiten Teil in jedem Fall lesen wollen? Nein, Fremder – die 10€ wären mir zu schade…
Hintergrundbild: Bild genauer anschauen – © Marianne Spiller – Alle Rechte vorbehalten