Pacman mit Schüttelfrost
Ein gerafftes „Wie war eigentlich dein Tag?“ – weil ich es liebe zu schreiben, aber unbedingt kurzfristig mal etwas anderes schreiben muss als am Manuskript…
„HALLOGUTENMORGENWIEGEHTESDIR?!“ – Die Stimme ist ziemlich kieksig und nicht gerade eine Wohltat für meine noch schlafenden Ohren.
An der Tonart erkenne ich, dass ich es gerade nicht mit K2 zu tun habe; es könnte Mini-Olaf sein, der sich unterhalten will, oder vielleicht Kind-Herz – oder sonst jemand aus dem endlosen Heer der Püppchen und Stofftiere. Oder vielleicht auch einfach die Klobürste, denn in der Welt von K2 ist alles belebt, alles hat eine Stimme, und alles will sich mit mir unterhalten – vorzugsweise zu absurden Uhrzeiten an absurden Orten. „ICH KÜSS DICH JETZT“ ertönt die Stimme wieder, und Augenblicke später wird mir ein angesabbertes Wäscheetikett in die Nase gestopft. Aha. Also keines der Plüschtiere heute morgen, sondern der Kuschelzettel, der nun triumphierend lacht, weil die dumme Mama mal wieder drauf reingefallen ist. Verschlafen öffne ich ein halbes Auge, während die Kleine sich geschickt auf meinen Bauch schwingt, es sich bequem macht und mich mit ernstem Gesicht ins Kreuzverhör nimmt. „Welcher Tag ist heute?“ – „Dienstag.“ „Und welche Zahl?“ – „Heute ist der zwanzigste oder so.“ „Der einunzwanzigste März zweitausendachtzehn!“ sekundiert K1 verschlafen aus dem Hochbett heraus. „Und wieviel Uhr?“ – „Irgendwas kurz vor sechs.“ „Und wieviel Grad?“
Bisweilen denke ich, ich bin selber schuld: dieses ständige Gerede von Thermostaten und Zahlen und Funksignalen und Automatisierung geht an den Kindern nicht spurlos vorbei, und offenbar rächt es sich. Während die Kleine ihre Inquisition fortsetzt („Welche Farbe hat meine Laune?“), berappelt sich die Große im Hochbett und schmeißt mir mit einem fröhlichen „ICH KANN FLIEGEN!“ eine Plüschrobbe an den Kopf.
Die winzige weiße Robbe aus meinen Kindertagen entdeckte ich beim Aufräumen wieder, und da K1 gerade auf einer akuten Delfin-und-Robben-Welle reitet fragte ich sie, ob sie auf das kleine Kerlchen aufpassen möchte. Freudig drückte sie ihn an sich, entdeckte entzückt, dass er sogar leise quietschen kann, und fragte dann nach seinem Namen. Nur war ich schon zu Kindertagen beeindruckend unkreativ in Hinblick auf Plüschtiertaufen: er heißt Robbi, was K1 ungläubig die Augen bis in den Hinterkopf rollen ließ. Ich verschwieg ihr daher lieber, dass meine treuesten Weggefährten seit jeher Bäri, Puppi und Hasi gewesen waren. Neben der Adoptiv-Robbe besitzt das Kind eine dreiköpfige Plüschrobbenfamilie, und wenn sie „Robbi“ schon so dämlich findet soll sie mir mal erzählen, wie ihre Stofftiere so heißen: würdevoll erklärt mir K1, die kleine graue Robbe (Papa) heiße Roberto Toscanini, die große weiße (Mama) sei seine Frau Charlotta, und das winzige Baby heißt Marlene. Marlene Toscanini. Sie schielt voller Verachtung zur Adoptiv-Robbe: „Naja. Und der da heißt halt Robbi.“ Jetzt fühle ich mich denn sehr deutlich gedisst: und das von einem Kind, das von Glück sagen kann, dass ich „K1“ und „K2“ standesamtlich nicht durchsetzen konnte. „Was guckst du mich so an?“ fragt K1 stirnrunzelnd – wie soll ich ihr sagen, wie sehr ich ihre Kreativität bewundere, ihren Witz, ihre ganze Art?
Stattdessen lächle ich sie an und sage feierlich „Nix, ich hab dich einfach nur schrecklich lieb!“. Ihr Gesicht verfinstert sich, und wortlos stapft sie zu ihrer Schublade, kramt darin herum, kommt schließlich mit einem Zettel zurück – eine Strichliste, wie sich zeigt, mit Datum versehen. Ich sage ihr nämlich zu oft, dass ich sie lieb habe; deshalb zählt sie jetzt mit, worüber ich hiermit offiziell in Kenntnis gesetzt werde. Pro Tag darf ich 3x, und wenn ich die voll hab darf ich erst morgen wieder. Habe ich schon erwähnt, dass auch ihr Selbstbewusstsein mich beeindruckt?
Mit größter Sorgfalt drückt K2 Legosteine auf die Bauplatte, einen an den anderen und bis nahezu die gesamte Platte voll ist. Mittig lässt sie ein winziges Fleckchen frei, und auf dieses Fleckchen stellt sie schließlich ein Männchen. „Wow“ sage ich, „du hast das Männchen ja richtig eingemauert.“ Zufrieden betrachtet K2 ihr Werk: „Ja, das is nämlich ein Gefängnis!“ „Ui. Ins Gefängnis muss man doch eigentlich nur, wenn man was ganz Schlimmes angestellt hat?“ vergewissere ich mich. K2 nickt entschieden: „Das hat er ja auch!“ Sie schaut sich leicht paranoid erst über die rechte Schulter, dann über die linke, beugt sich leutselig nach vorne und flüstert begeistert „Der hat zu sein Mama Aaaschloch gesagt!“ Wie sie dabei strahlt! Endlich ist es ihr gelungen, dieses „böse Wort™“ anzubringen, ohne dafür geschimpft zu werden… Sichtlich begeistert von der eigenen Genialität betrachtet sie mich nun wachsam um zu erkunden, wie ich wohl reagiere, und ich tue das pädagogisch unwertvoll wie so oft: ich lache mich kaputt, das Kind ist entzückt. Schließlich werden wir wieder etwas ernster, ich schaue sie scharf an und sage „Jetzt haben wir aber genug gekichert. Du weißt ja, dass du das Wort nicht sagen sollst…“, und sie fragt treuherzig „Welches Wort? Aaaschloch?“ Ich bin machtlos, ich muss es einsehen: gegen die Pfiffigkeit meiner Töchter habe ich grundsätzlich keine Chance. Und naja… Gerade in Bezug auf Kraftausdrücke erfülle ich meine Vorbildfunktion ohnehin nur sehr unzureichend…
Denn Fluchen beim Autofahren ist eine unterschätzte Disziplin, der man sich einfach nicht mehr sinnvoll widmen kann, wenn man erst Kinder hat. Ich habe einiges ausprobiert, um mit meinen verbalfäkalen Ausrastern am Steuer irgendwie adäquat umzugehen und landete schließlich bei Octopussi (der Name. DER NAME!). Es handelt sich hierbei um ein Baby-Spielzeug von Käthe Kruse, einen gestreiften Tintenfisch; und er vibriert, wenn man an einem der Beinchen zieht. Er weist eine frappierende Ähnlichkeit zu Pacman auf, was aber überhaupt nicht stimmt, eigentlich sieht er aus wie eines der Pacman-_Gespenster_, aber er heißt trotzdem Pacman. Und statt zu pöbeln und zu fluchen versuche ich also in case of Wut, Pacman zappeln zu lassen – ich bin da recht einfach gestrickt und muss jedes Mal aufs Neue lachen: Pacman mit Schüttelfrost. Überwiegend funktioniert das ganz gut inzwischen.
Doch an diesem Tag ist auch Pacman machtlos: zu viele Kilometer war der SUV nun schon mit knappen 45km/h in der 70er-Zone vor mir hergeeiert, natürlich genau so mittig, dass an Überholen nicht zu denken war – und das, nachdem mir auf dem Schulparkplatz zweimal die Vorfahrt genommen und das Auto für eine Viertelstunde zugeparkt worden war. Nein, mein Geduldsfaden hängt in Fetzen, und ich murmele Dinge wie „Hast du deinen Führerschein im Lotto gewonnen?“ und „Hauptsache blöde große dämliche Karre!“ und „Hau ab und lass mich durch!“. Die unglaublich dunklen und unglaublich großen Augen von K1 verfolgen mich im Rückspiegel, ausdruckslos fixiert sie mich.
„Das war Evelyns Mama.“ – „…“ „Evelyn ist in meiner Klasse.“
TILT. Im Moment tilte ich jeden verdammten Tag (und meistens bin ich selber schuld). Wenn wir abends endlich die Rollerläden schließen und uns vorm Einschlafen noch eine Weile übers Urlaubshaus unterhalten – die Dellen-fine, die wir dort vielleicht sehen, die Wasser-Millione, die wir essen, und die Dampflocke, mit der K2 zu fahren gedenkt – bin ich überwiegend sehr müde. Ich staune über Stifte in Leberwurstfarbe, den Wunsch nach mit Milchreis gefüllten Schulranzen und gnadenlose Ehrlichkeit („Oma, du bist alt und deshalb bald tot. Die Mama ist dann die nächste.“). Ich würde gerne mal einen kleinen Rant über meine beiden Mini-Terroristen verfassen, aber es will mir nicht gelingen: sobald ich über sie nachdenke, kann ich sie gedanklich nur noch abfeiern…
Kommt gut durch die Rest-Woche, und ich wende mich wieder dem Manuskript zu – in jeder verfügbaren Sekunde, sozusagen.
Hintergrundbild: Kraki, ein Kaethe-Kruse-Teufelsspielzeug, 2018, 523x 523px, Bild genauer anschauen – © Marianne Spiller – Alle Rechte vorbehalten
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