Leidensfähigkeit hat Grenzen
Mein Handy hat einen echt fiesen Weckton. Ich fahre im Bett hoch, mumiengleich eingewickelt in mehrere Decken, aus denen ich mich erst einmal herausstrampeln muss. Pochende Schläfen kündigen beginnende Kopfschmerzen an, ich freue mich auf einen heißen Kaffee und eine heiße Dusche.
Auf dem Weg nach unten fällt mir ein, wieso ich mein Bett mit so vielen Decken teilte: mitten in der Nacht war ich aufgewacht, ganz steif vor Kälte, war die Raumspartreppe heruntergehampelt und hatte alles eingesammelt, was mir irgendwie warm und flauschig erschien. Und warm ist es auch jetzt nicht. Griff an den erstbesten Heizkörper: eiskalt. Ich ahne Schlimmes.
Auch der im Wohnzimmer ist kalt, und das leichte Grundrauschen fehlt ebenfalls. Missmutig betrachte ich durch die angelaufene Fensterscheibe mein zugefrorenes Auto, schlüpfe ohne Socken in die Straßenschuhe, ziehe den Anorak über den Schlafanzug. Ich muss mich nicht erst unters kalte Wasser stellen um sicherzugehen, dass kein heißes da ist. Vorsichtig schleiche ich das abschüssige Kopfsteinpflaster am Haus entlang in Richtung Heizungskeller; wie erwartet begrüßt mich das rot-leuchtende Notlicht vom Heizungsbrenner, Wassertemperatur 17°C. Kippschalter auf „Schornsteinfeger“, jetzt müsste das Ding eigentlich im Demo-Mode anspringen – nichts. Gluckern, als wäre auf keiner der Leitungen Druck. Nicht einmal der Versuch zu zünden.
Es gibt Dinge, die ich lieber Fachleuten überlasse, und Steuererklärungen und widerspenstige Heizungsbrenner gehören definitiv dazu. Ich habe noch etwa 3000l Öl, und alle Eimer, die regelmäßig geleert werden müssen, sind auch leer – hier endet meine Zuständigkeit. Das Ding macht Krach, Dreck und heiß und da hab ich Angst vor (einmal sind nach Druck auf den Not-Schalter Rauchwolken rausgeschlagen, das Erlebnis hat mich geprägt). Also kein heißes Wasser, keine geheizten Räume. Blick auf die Uhr, Blick ins Internet, rasch Tasche gepackt und auf ins Schwimmbad.
Hollaria, für 1,50€ darf ich warm duschen.
Offenbar war soeben der Renter-Schwimmkurs zu Ende, immer mehr Frauen bevölkern die Gemeinschaftsdusche; im Schnitt sind sie 60, splitternackt und demonstrieren ihre Gelenkigkeit, indem sie sich ständig grundlos bücken. Und zwar nicht auf die rückenschonende Art, sondern auf die andere. Mehr, als ich ertragen kann, zumal vor dem ersten Kaffee.
Als dann auch noch eine kreischende Schulklasse den Tatort betritt, flüchte ich schleunigst und versuche in der klammen Umkleide, mich in etwas annähernd Menschliches zu verwandeln. Aber ich hasse die ganze Welt, und der weitere Verlauf des Tages wird mich darin nur bestätigen. In 48 Stunden wird sich erstmals jemand dem orange-roten, nicht funktionierenden Geschoss im Heizungskeller annehmen – das bedeutet zwei Abende frieren und mindestens noch einmal die Arie im Schwimmbad abziehen. Ich hab den Holzofen angefeuert, aber der braucht gute zwei Stunden, um sich überhaupt bemerkbar machen zu können. Schätzungsweise wird es genau dann angenehm, wenn ich dringend ins Bett muss…
Hintergrundbild: 900x 602px, Bild genauer anschauen – © Marianne Spiller – Alle Rechte vorbehalten
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