Frust auf der Düne
Ich will weg, weg von allem, weg von Menschen und von mir und meinen Gedanken – weit weg.
Gerade ist alles zu viel, viel zu laut und zu anstrengend, und ungeachtet der Temperaturen säße ich gerne auf einer Düne – den Blick aufs Meer gerichtet, auf den Horizont. Von mir aus auch auf eine Möwe. 50 Millionen für Karnevalsvereine1, aber die flächendeckende Anschaffung von Luftfiltern für Schulen ist natürlich zu teuer… Politikverdrossenheit, Unsicherheit und wenig Zuversicht und Vertrauen in Hinblick auf nähere wie fernere Zukunft –
Schlechtes Wetter müsste herrschen auf meiner Düne, Sonnenschein wär mir fehl am Platze: ich wünsche mir Nieselregen, der mir fast waagerecht ins Gesicht weht, angetrieben von beachtlichem Wind, und ein dunkles, bedrohliches Wolkenszenario – Wolken so tief, dass sie das Meer zu berühren scheinen. Corona lassen wir in den Schulen ungebremst durchrauschen, aber wegen eines Sturmtiefs ist der Schulbesuch dann doch plötzlich freigestellt2… unfassbare Müdigkeit, Schlaflosigkeit, schlechte Träume, die über den gesamten Folgetag hinweg nachwirken und Traumbilder, die sich einfach nicht verscheuchen lassen –
Alleine wäre ich auf meiner Düne, denn eine gute Gesellschaft gebe ich ohnehin gerade nicht ab. Alleine wäre ich einsam, müsste aber auch keine Rücksicht nehmen, und es würde auch gut zu meiner allgemeinen Grundstimmung passen. Lockerungsgebatten in der 500. Iteration3, die leider mit durchschnittlichem Verstand nicht zu fassen sind, unlogische Reglungen, die sich zudem alle drei Tage ändern, Dauerschmerzen – und dazu diese unterschwellige Gereiztheit, die nahezu jeden inzwischen erfasst hat und den Umgang mit vielen Menschen so verkompliziert –
Und deshalb packe ich mein Köfferchen. Ich stopfe Windbreaker hinein und diese unvorteilhafte, aber gefütterte Hose, Handschuhe, Riesenschal. Ich werde losfahren, und dann durchquere ich Saarland, Rheinland-Pfalz, Hessen, Niedersachsen und Hamburg, bis ich in Schleswig-Holstein ankomme. Vorbei an Homburg und Homberg (Ohm) und Homberg (Efze) Richtung Hamburg. Ich fahre unter anderem A1, A3, A5, A6, A7, A8, wenn auch nicht in dieser Reihenfolge, und die lange Fahrt wird meinen Wunsch nach Einsamkeit bereits relativieren. Ich werde mir die abgelegenste Düne von allen suchen und mich draufsetzen, und wenn ich irgendwann wieder hinuntersteige lasse ich meinen Frust dort und bin ich ein klitzekleines Stückchen mehr in diesem neuen Leben angekommen, unter dem ich mir noch gar nicht so viel vorstellen kann.
Und dann koche ich mir einen Tee. Wärme mich auf. Atme tief durch.
Dann muss es irgendwie weitergehen.
Wird es auch.
Aber eben erst nach der Düne.
Hintergrundbild: Heftiger Wellengang an der Kueste von Gran Canaria, 2019, 1500x 1000px, Bild genauer anschauen – © Marianne Spiller – Alle Rechte vorbehalten
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