Der tägliche Wahnsinn
K1 hat ihre Handcreme benutzt, ein Probetübchen von Rituals. Dem Geruch nach zu urteilen hat sie großzügige Mengen verteilt, und zwar so ziemlich überall. Normalerweise mag ich den Geruch sehr, doch jetzt schmeckt mein Kaffee danach und das Brötchen auch. K1 scheint sich nicht daran zu stören – doch was will ich von einem Kind erwarten, das Leberwurstbrot mit Erdbeeren frühstückt?
Gerade in Bezug auf Elternschaft wird mir immer wieder klar, wie weit Eigen- und Fremdwahrnehmung doch auseinander liegen können. Von Außenstehenden wird mir üblicherweise Engelsgeduld attestiert, eine Tugend, um die viele mich offen beneiden. Das überrascht mich jedes Mal aufs neue, denn ich selbst empfinde mich als eher aufbrausend und leicht zu nerven – ich setze allerdings auch bei niemandem strengere Maßstäbe an als bei mir selbst. Wenn ich inzwischen ein nicht unerhebliches Maß an Geduld sowie die Fähigkeit aufbringe, mich auf einen Punkt an der Wand konzentrieren und Dinge geschehen lassen zu können, so habe ich das alleine meinen Töchtern zu verdanken.
Die ALDI-Kasse
Meinen beiden reizenden Mädels, denen es immer wieder gelingt, mich sprachlos zu machen – und das will was heißen. Als Mutter wurde mir schon während der Schwangerschaft, doch auch während und kurz nach der Geburt nach Kräften jegliches Schamgefühl abtrainiert, und im Nachhinein bin ich ganz froh darüber. Sehr viel leichter lassen sich auf diese Art Situationen überstehen wie ALDI-Kasse, K2 sitzt im Einkaufswagen, greift mir beherzt in den Ausschnitt und fordert den hinter mir stehenden Renter auf, sich das Glitzer-Dings an meinem BH doch mal näher anzuschauen. Oder, ganz klar einer meiner Favoriten, ALDI-Kasse, ellenlange Warteschlange, K1 reißt sich theatralisch die Mütze vom Kopf, kratzt sich mit allen zehn Fingern und tönt vernehmlich „Scheiße1 Mama2! Ich glaub, ich hab schon wieder3 Läuse4!“.
Die Endlosschleife
Dramatisch überstrapaziert wird meine Geduld bei Wiederholungen, nicht nur in Bezug auf Kinder und ganz gleich, ob ich nun 264-mal das Gleiche sagen oder hören muss. Zwei Aspekte machen mir diesbezüglich das Leben mit meinen beiden Süßen gerade ziemlich schwer: erstens lieben sie es, alles mindestens 265-mal zu wiederholen, und zweitens haben ihre liebreizenden Stimmchen Megaphon-Qualität.
„K2, du darfst dir einen von meinen Aufklebern aussuchen!“ „– Oh, toll!“ „Willst du den hier?“ „- Nein.“ „Den?“ „– Nein.“ „Den?“ „– Nein.“ „Den?“ „– Nein.“
Zum Schutze meiner geistigen Gesundheit ist das der Moment, in dem ich den Tatort verlasse, todesmutig den meterhohen Wäscheberg überklettere und mir meinen Weg zur Waschmaschine bahne. Ich trödle, betrachte Sand, kleine Steinchen, Papierchen und Fitzelchen, die mir aus diversen Taschen, Eingriffen und hinter fummeligen Reißverschlüssen entgegenrieseln. Doch irgendwann muss ich zurück.
„Den?“ „– Nein.“ „Den?“ „– NEIN.“ „Den?“ „– NEIN!!!“ „Den?“ – „NEEIIIIIIN!!!!!“
Okay, K2 hat lange mitgespielt, doch nun reicht es ihr: mit einem Schrei stürzt sie sich auf ihre Schwester und versucht, den Stickerbogen an sich zu reißen. Ich trenne die beiden, ehe die Sache zu handgreiflich wird, und beide sind nun gleichermaßen beleidigt. Auch so etwas, woran ich mich wohl nie wirklich gewöhnen werde: im Zweifel halten sie zusammen – und ich bin plöth.
Autofahrten
„Mama?“ „– Ja?“ „Soll ich mal bis 100 zählen?“
Ich schwöre es – so beginnen Krimis. Zu gerne würde ich nun aussteigen, aber da ich als einzige an die Pedale heranreiche, scheidet diese Option aus. K1 beginnt also zu („Eiiiins!“) zählen, begleitet von einem piepsenden („Eiiiins!“) K2-Echo. Stadtverkehr, die Sonne scheint zu hell, ich stelle das Autoradio ab. „Drei-und-fünfzig!“ „Drei-und-fünfzig!“ „Vier-und-fünfzig!“ „Vier-und-fünfzig!“ „Sechs-und-fünfz… Oh, nein. Falsch. Also nochmal: Eiiiiins…“ „Eiiiiins!“ „Zweeeei!« …
Fragt sich, was nun anstrengender ist: immerhin ist es so einigermaßen harmonisch, die beiden können sich wegen Zahlen („Ich hab die Mama neun Milliarden lieb!“) nämlich genauso gut handfest („ICH HAB DIE MAMA AUCH NEUN MARMELADEN LIEB!!!“) in die Haare kriegen, und das macht – vor allem auf der Autobahn – tatsächlich noch weniger Spaß.
Sowas sagt einem vorher ja auch keiner!
In unserem Haushalt gibt es viele Gründe für irrationales Verhalten; K2 flippt beispielsweise völlig aus, wenn die verdammte Mama mal wieder Feinstrümpfe trägt. Sie kann es nicht in Worte fassen, scheint jedoch an einer regelrechten Feinstrumpf-Phobie zu leiden. Stein des Anstoßes können desweiteren durchgeschnittene, nicht durgeschnittene oder falsch durchgeschnitte Frühstücksbrote sein, zu bunte Farben, eine zu sonnige Sonne oder zu nasser Regen – die Möglichkeiten sind endlos, und immer sind sie unvorhersehbar.
K1 liest mir skeptisch den Hinweistext auf einer Luftballonpackung vor; er besagt, dass die wurmförmigen Ballons-mit-Fühlern nur per Luftpumpe zu befüllen sind. K1 hält das für völligen Blödsinn – Luftballons kann man ja wohl mit dem Mund aufblasen – und schreitet, alle zaghaften Hinweise ignorierend, zur Tat. Während K1 tief Luft holt, stellt K2 („Wieso is der Dach so gereibt?“) mit beachtlicher Beharrlichkeit („Wieso is der Dach so gereibt?“) immer wieder die gleiche Frage („WIESO IS DER DACH SO GEREIBT??!“) – die ich gerne beantworten würde, bloß verstehe ich nicht, worum es eigentlich geht. K1 hat inzwischen ein ziemlich rot-blaues Gesicht, sehr runde, aufgeblasene Backen und schielt auf den Luftballon im eigenen Mund, während K2 sich verzweifelt und im dreistelligen Dezibel-Bereich auf dem Boden rollt, bitterliche Tränen weint und zu wissen begehrt wieso der Dach so gereibt is. Ehe K1 final in Ohnmacht fällt kann ich sie davon überzeugen, den vollgesabberten Würmchen-Ballon zu entsorgen, und ich verstehe schließlich, dass der gereibte Dach eine mit Rauhputz versehene Zimmerdecke ist. Die Krise ist bewältigt, doch die nächste naht sicher schon…
Langweilig wird es mir eher nicht; und vielleicht sind sie ganz normal, diese Abende, an denen ich wie ein gefällter Baum ins Bett kippe: mit latent klingelnden Ohren, Selbstzweifeln und luftleerem Kopf…
Hochgezogene Augenbrauen der übrigen Kunden ob fluchenden Kindes. ↩︎
Verdammt. Die Verwandtschaftsbeziehung kann ich also nicht mehr abstreiten… ↩︎
Hatte sie einmal, vor über 18 Monaten. Aber so formuliert klingt es gleich viel dramatischer, oder? ↩︎
Alle Anwesenden weichen instinktiv drei Schritte zurück. Mindestens._ ↩︎
Hintergrundbild: 1440x 530px, Bild genauer anschauen – © Marianne Spiller – Alle Rechte vorbehalten