Château de Noisy
Es ist einer der vermutlich bekanntesten Lost Places, und damals™ war es so ein bisschen „der Heilige Gral“ der Szene: Château de Noisy (auch, aber seltener: Château Miranda).
Oktober 2007, es war meine allererste Urbex-Tour überhaupt und ganz schön kalt. Meine Mitstreiter hatte ich zwei Stunden zuvor erst kennengelernt – am Treffpunkt, an dem ich zu ihnen ins Auto stieg, um nach Belgien zu fahren. Unterwegs die SMS meiner Mutter, ob ich das wirklich für eine gute Idee hielte? Ja, ich war mir da ganz sicher. Die Fahrt dauerte eine Weile; der Fußmarsch durch den Ardennenwald war lang und umständlich. Mir fehlte jede Orientierung, und so stapfte ich, meine karge Ausrüstung schleppend, einfach mit den anderen mit. Und ich werde nie den Moment vergessen, als ich Château de Noisy das erste Mal durch die Bäume hindurch sehen konnte, sehen durfte…
Der verwunschene Wald, das verzauberte Schloss… Ich fühlte mich wie in einem Märchen. Und auch heute noch fühle ich genau das, wenn ich dieses Bild betrachte 🥰
Ein analoges Bild übrigens – 2007 besaß ich keine Digitalkamera, sondern verwendete verschiedene analoge. Meine Nikon F-301 zum Beispiel, mit der ich extrem gerne gearbeitet habe; für Schwarzweißfilme am liebsten die Voigtländer Vito II nebst manuellem Belichtungsmesser. Und so manch andere… Filme verknipsen, Filme zur Entwicklung schleppen, Negative einscannen – ich habe deutlich länger auf diese Art gearbeitet als der Rest der Truppe. Und auch wenn ich die Digitalkamera heute nicht mehr missen wollen würde: es war schon auch schön.
Erbaut ab 1865 im neogotischen Stil (und oh, wie ich ihn liebe! 🥰), diente es der Familie Liedekerke Beaufort vorerst als Sommerresidenz; späterhin bewohnten sie Teile des Anwesens dauerhaft. Im zweiten Weltkrieg wurde das Château zeitweise von deutschen Truppen besetzt. Es musste über die Jahre als Ferienwohnheim herhalten, als Veranstaltungsort für Seminare, als Filmkulisse. Doch die ambitionierten Pläne, es in ein Hotel umzubauen, scheiterten. An der Übernahme des denkmalgeschützten Châteaus durch die Gemeinde Celles schien die Familie kein Interesse zu haben – und seit Anfang der 90er Jahre stand das schon in den Jahren zuvor langsam herunterkommende Anwesen leer. Selbstredend – und wie es sich für einen Lost Place eben auch gehört – ranken sich viele Geschichten um diesen Archetypen eines „Spukschlosses“ sowie das umgebende Gelände: von dem Dachdecker, der während seines Einsatzes zu Tode kam; von einem Urbexer, der angeblich vom Uhrenturm fiel; von den geschickt versteckten Fallen in den Wäldern; von bewaffneten Bewachern; von Geistern im Allgemeinen und bösen Geistern im Speziellen. Was davon ist belegbar, was ist Fiktion?
1995 kam es zu einem Brand im Dachstuhl, woraufhin die Eigentümer alles, was noch von Wert war – beispielsweise Parkettböden und Marmor – demontieren und abtransportieren ließen. Nichts und niemand hielt den Verfall jetzt noch aktiv auf – einstürzende Seitendächer, ein weiterer Brand und Vandalismus in nicht fassbarem Ausmaß besiegelten den Untergang. Schließlich wurde Château de Noisy von der Denkmalliste gestrichen: 2016 begann, allen Gegeninitiativen zum Trotz, der Abriss, 2017 war er vollständig abgeschlossen.
Einerseits fand und finde ich das traurig, andererseits war es unumgänglich; zuletzt war es ein Trümmerfeld, gefährlich – und für die Besitzer vermutlich wenig mehr als ein Ärgernis. Der einstige „Glanz“ – sowohl im wörtlichen Sinne als auch jener besondere, der nicht allen zugänglich ist, der aber aus einem Lost Place-Foto ein wirklich gutes Lost Place-Foto macht – er war längst dahin.
Es gibt im Netz unzählige Seiten, die das Thema auf verschiedene Arten aufgreifen; und vermutlich kann ich nichts erzählen, das nicht schon 100x mal erzählt wurde. Insbesondere gibt es unzählige Bilder, bessere als meine. Einige wenige alte, auf denen erkennbar ist, wie schön die gesamte Anlage einmal gewesen sein muss; doch der Großteil des Bildmaterials (einschließlich meines eigenen 😇) widmet sich den unterschiedlichen Stadien des Verfalls, der – angefeuert durch Bösartigkeit und Vandalismus – unfassbar schnell voranschritt.
Doch wie ich in einem früheren Artikel bereits angekündigt hatte: ich baue alles links und recht dieses Blogs nach und nach zurück und packe relevante Inhalte genau hier hin. Und der Bereich urbex
wäre unvollständig und würde sich falsch anfühlen, wenn genau dem Objekt, mit dem alles anfing, keine angemessene Würdigung widerfahren würde.
Hintergrundbild: Der erste Blick auf Chateau de Noisy, Analogaufnahme, 2007, 1500x 1000px, Bild genauer anschauen – © Marianne Spiller – Alle Rechte vorbehalten